„Das Gedächtnis der Erde“ - Grußwort
Dr. Anna Luise Klafs
Studienleitung für Kunst & Kirche
Pädagogisch-Theologisches Institut der Nordkirche
Liebe Erd- und Kunstliebende, liebe Künstler*innen,
dass Sie, liebes Art an der Grenze Team, in diesen Zeiten eine Ausstellung mit dem Titel „Gedächtnis
der Erde“ organisiert haben, erscheint mir nicht nur poetisch, sondern auch beinahe prophetisch: In
diesen Zeiten, in denen die Erde zu schreien scheint, in denen Sichergeglaubtes zu Schutt und Asche
wird, in denen Parolen Besonnenes verdrängen – in diesen Zeiten ist es wohltuend, auf die Kraft der
Erinnerung, in zweifacher Richtung, hinzuweisen: Die Erinnerung der Erde über das ihr angetane Leid,
das in sie eingeschrieben steht und eingestanzt bleibt. Und zugleich die Erinnerung an all die
Erbstücke, die das ungleiche Paar Erde & Mensch über die ach so lange gemeinsame Wegstrecke
angehäuft hat. Die Erinnerung an das Kostbare, das Unauslöschbare, dessen Reichtum uns vielleicht
ausmacht, ohne dass wir es merken.
In diesem Spannungsfeld bewegen sich die 23 gezeigten Werke der Grafiksammlung der Nordkirche,
die in der lichtdurchfluteten Cantate-Kirche Duvenstedt gezeigt werden. Die Grafiken nähern sich dem
großen, fast einschüchternden Titel fragend, meandernd, unaufgeregt kontrastierend: So mag man
sich auf den ersten Blick wundern, warum Andy Warhols 1967 entstandener Siebdruck Marilyn hier zu
sehen ist. Was hat Marilyn Monroe mit dem Gedächtnis der Erde zu tun? Auf den zweiten Blick
vielleicht mehr als man denkt – sehen wir den großen Hollywood-Star als moderne Ikone, als
Angebetete, als Madonna in modernem Gewand. Auf diese Weise offenbart Warhols Madonna
leichtfüßig einen roten Faden in unserer Menschheitsgeschichte: Der Künstler knüpft an die
Jahrtausende währende Bildtradition der Ikonenmalerei an und stellt das menschliche Bedürfnis nach
Anbetung zugleich konsumkritisch in moderne Kontexte. Ähnlich oszillierend bewegt sich Ben
Willikens Abendmahl , das – ausgehend von der klassischen Bildtradition eines Leonardo da Vincis –
mit der längst ins kollektive Unbewusste eingeprägten Motivik spielt, sie aufnimmt und in ein offenes
Neues führt. Auch hier erscheint mir die Frage drängender als die Aussage: Was, wenn der Tisch leer
bleibt, an dem sonst Miteinander, Hoffnung und Fürsorge gefeiert werden?
Viele dieser Fragen lassen keine einfache Antwort zu, sie sind nicht gemacht für ein Ja oder Nein. Wie
wohltuend. Lassen Sie uns also gemeinsam auf die Suche gehen, auf die Suche nach unser und der
Erde Erinnerungen und über unser fragendes Staunen ins Gespräch kommen. Ich freue mich sehr,
dass die Grafiksammlung der Nordkirche dabei Impulse setzen kann – nicht nur für das entstehende
Gespräch, sondern auch für die Kunstwerke, die durch Künstler*innen der Gruppe Art an der Grenze
geschaffen werden.
Danke für Ihre kostbare Arbeit!
Dr. Anna Luise Klafs